The Lost City

 

Es gibt Dinge, die einem das Fotografieren und Filmen ein kleiiines bisschen erschweren. Zum Beispiel eine 60 Kilometer lange Wanderung durch den Dschungel der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien. Besuche bei indigenen Stämmen statt Handyempfang, Birdwatching statt Streaming, eiskalte Dusche statt Hotelkomfort. Das schönste Kontrastprogramm ever! Hier gibt es für euch meinen Kurzfilm, einige meiner Fotos und den Artikel, den ich auch im Globetrotter Magazin veröffentlicht habe.

La Ciudad Perdida – das Abenteuer beginnt

Ein bisschen nervös waren wir schon, als wir am Vorabend die letzten Einkäufe in Santa Marta gemacht haben. Kann natürlich auch daran liegen, dass ich an diesem Tag mehrere nervenaufreibende Stunden damit verbracht habe, meinen Reisepass wiederzubekommen, den ich in der Sitztasche im Flugzeug vergessen hatte. Aber das nur am Rande. Jedenfalls stehe ich hier, mit dem Moskitospray in der Hand, bin etwas aufgeregt und sage mir: „Ach, es sind doch nur knappe 60 Kilometer“. Ich muss direkt über meinen eigenen gescheiterten Beruhigungsversuch lachen, denn mir ist sehr wohl klar, dass es anstrengend werden würde. Über dreißig Grad, zum Teil pralle Sonne, hohe Luftfeuchtigkeit und unsere Rucksäcke, die vor allem dank Fotoausrüstung (und trotz mehrerer Ausmist-Versuche) jeweils über 10 Kilo wiegen – von alleine wird sich diese Strecke nicht laufen. Gleichzeitig kann ich es kaum erwarten, in diese Parallelwelt einzutauchen: für vier Tage tauschen wir Handyempfang und Internet gegen Dschungel, frische Luft und die Geschichte der Sierra Nevada de Santa Marta – das kann doch nur großartig werden! Auch das Timing ist perfekt: in Shakiras Heimatstadt Baranquilla, nur 100 Kilometer entfernt, tobt zur gleichen Zeit der zweitgrößte Karneval der Welt, weshalb wir mit deutlich weniger Wanderern auf der Strecke sein werden, als es sonst der Fall ist.

Philodendron
Tag 1 – Eingrooven im Dschungel

Noch kurz werden Versicherung und Co geklärt und es gibt einen letzten Kaffee, bevor unsere kleine Gruppe mit dem Jeep gute zwei Stunden zum Startpunkt gefahren wird, einem kleinen Ort mit dem coolen Namen Machete. Hier erwartet uns ein Mittagessen und eine Lagebesprechung mit unseren Guides Wolfgang (wusstet ihr, dass das ein populärer Vorname in Venezuela ist?) und Yair. Jetzt kann ich es kaum mehr erwarten. Noch kurz eine Whatsapp-Nachricht an meine Eltern – und ab in den Flugmodus. Endlich geht es los. Das erste Teilstück (ca. 4 Stunden) ist heiß, sonnig und staubig. Nach 5 Minuten sind wir schweißnass – und das würde sich für die nächsten vier Tage auch nicht mehr ändern. Nach 10 Minuten sehe ich die erste riesige, gelbschwarze Spinne neben mir im Bananenbaum sitzen. „Oh super“ denke ich, „können es keine Schlangen oder Skorpione sein?“. Irgendwer hatte mir erzählt, dass es hier kaum Spinnen gibt. Fake News! Die sitzen hier überall. Ich frage unseren Guide Yair, ob sie giftig sind. „Achso, nein, nicht so sehr“ sagt er, „also nicht so, dass dich EIN Biss töten kann. Aber zwei“. Okay, cool. Doch das Schöne ist: diese Spinnen mögen die Bäume, in denen sie ihre Netze spannen (und bleiben auch dort), so dass wir uns sogar trauen, sie zu fotografieren. Meine Kamera packe ich inzwischen gar nicht mehr ein. Denn immer wieder haben wir einen atemberaubenden Blick über die grünen Berge der Sierra Nevada de Santa Marta. Am späten Nachmittag kommen wir im ersten Camp an. Erst winkt die kalte Dusche, dann das überraschend leckere Abendessen. Unser Koch Juan Carlos wird nach jeder Mahlzeit kurz abwaschen, dann locker flockig an uns vorbeisprinten und bis wir das nächste Camp erreichen, schon wieder gekocht haben. Ein Phänomen, der Mann! Die Moskitonetze im Camp halten, was sie versprechen und um 21 Uhr liegen wir in unseren Betten. Ich denke noch kurz drüber nach, ob die Frösche lauter quaken als die Grillen zirpen oder andersherum. The sound of silence. Gute Nacht.

Tag 2 – zu Gast bei Wiwas

Heute wird es schon etwas härter. Mit einem lauten „buenos dias, muchachos“ werden wir um 5 Uhr von unserem Guide geweckt. Um 6 Uhr verlassen wir nach dem Frühstück das Camp. Wir haben eine lange Strecke vor uns – immer wieder geht es steil bergauf und bergab. Doch es wird deutlich dschungeliger und damit auch schattiger, was bei diesen Temperaturen echt gut tut. Die Pflanzen werden immer größer. Manche Blätter sind so riesig, dass Christoph und ich sie als Strandmatte verwenden könnten. Auf dem Weg werden wir immer wieder von Mulis überholt, teils mit Paketen auf dem Rücken. Ob darin unser Mittagessen ist? Wir haben schon einige Angehörige der indigenen Stämme getroffen, die in Dörfern entlang des Wegs leben. Heute Mittag werden wir sogar zu Manuel, einem Wiwa, nach Hause eingeladen. Kulturclash. Da sitze ich mit meiner supermodernen Kamera und dokumentiere, wie uns Manuel die Tradition der Poporo erklärt. Ich versuche es möglichst einfach wiederzugeben: Die Poporo ist ein getrockneter Kürbis, in dem ein weißes Kalkpulver aus zuvor gerösteten Muscheln aufbewahrt wird. Die Männer der Stämme laufen alle mit einer dicken Backe herum, denn sie zerkauen den ganzen Tag Koka-Blätter (Frauen dürfen das nicht). Dazu holen sie mit einem Holzstab Pulver aus der Poporo, das sie in ihren Mund dazugeben. Es entsteht eine gelbe Masse, die sie dann mit dem Holzstab außen auf den Hals der Poporo auftragen. Manuel erklärt uns, dass sie so ihre Gedanken aufschreiben, die ihnen während des Kauens einfallen. Wie ein kleines Tagebuch, das für niemanden lesbar ist. Tatsächlich können die Tayrona-Stämme nicht schreiben. Was wirklich schade ist, denn so werden die Traditionen und die spannende Geschichte dieser Völker langsam verblassen.

Nach dem Besuch bei Manuel geht es weiter – Tag 2 ist die längste Etappe. Dafür mit gleich zwei Erfrischungen: nach dem Mittagessen können wir im glasklaren Fluss baden. Und abends im Camp gibt es eine noch kältere Dusche als gestern. Pünktlich zum Abendessen beginnt es in Strömen zu regnen. Der zu dieser Jahreszeit sehr trockene Dschungel atmet kurz auf. Tiefe Wolken drängeln sich durch die riesigen Bäume die dunklen Hänge hinauf. Abends sitzen wir im Camp zusammen und lassen den Tag Revue passieren, bevor es ab ins Bett geht, wo die Frösche uns noch lauter in den Schlaf quaken, als am Abend zuvor. Am nächsten Tag werden wir die Ciudad Perdida erreichen. Teyuna wird sie von den Tayrona genannt, was so viel heißt wie „Ursprung der Völker der Erde“.

Wiwas 1

Instagram ist die perfekte Plattform, andere Inhalte (wie zum Beispiel Blogposts oder Online Magazin Artikel) zu promoten. Diese Instagram Story Serie habe ich für die Outdoor Firma Globetrotter produziert, in deren Magazin eine umfassendere Version von diesem Artikel erschienen ist.

Lost City Treppe Christoph
Tag 3 – die Verlorene Stadt

Über 1200 Stufen warten heute auf uns. Als wir um 5 Uhr aus unseren Betten kriechen, kommt uns das noch nicht so spektakulär vor. Das wird sich aber noch ändern. Eine kleine Flussüberquerung später geht es los und der Haken an der Sache wird uns bewusst: die Jahrhunderte alten Stufen sind wirklich sehr steil und dank des Regens gestern Abend super glitschig. Auch wenn Christoph und ich uns bisher vorkamen, wie typisch over-equipte Deutsche, sind wir jetzt froh um unsere Wanderstöcke. Immer wieder rutsche ich aus und habe Angst um meine Kamera, die mir um den Hals baumelt – aber sie wegzupacken ist keine Option. Riesige Blätter rahmen die schmale Treppe ein. Ein perfektes Motiv nach dem anderen. Die Stufen hinaufzuklettern wird nach kurzer Zeit fast schon meditativ. Und dann ist es soweit: wir erreichen die Ciudad Perdida, die Lost City, Teyuna. Es ist schon verrückt. Jahrhundertelang war dieser Ort im Dschungel verschollen und vergessen. Und jetzt stehen wir hier auf den steinernen Terrassen. Früher waren sie das Fundament der Hütten, in denen die Bewohner nach ihrem Tod sogar mit ihren Habseligkeiten begraben wurden. Nach zwei Jahren oder wenn die Hütte begann, zu zerfallen, wurde eine neue Hütte darauf errichtet. Nach ihrer Wiederentdeckung wurden die Terrassen teilweise restauriert. Über 200 von ihnen gibt es insgesamt. Die am höchsten gelegenen Steinkreise sind umrandet von einzelnen Wax-Palmtrees, was vor allem aus der Luft ein atemberaubendes Bild ergibt.

Unsere Guides erzählen uns viel über die Geschichte der Verlorenen Stadt, zeigen uns in Felsen gehauene Landkarten und die Hütten des „Mamo“, des spirituellen Führers der Kogui und seiner Frau, die hier heute leben. Persönlich lernen wir die beiden leider nicht kennen, denn sie sind zu Gesprächen nach Santa Marta gereist. Dafür können wir uns ihre Hütten von außen genau ansehen. Sie haben zwei Türen. Der Grund hat mich wahnsinnig beeindruckt: negative Gedanken werden beim nach Hause kommen vor der Eingangstür abgeladen. Wenn die Kogui in den neuen Tag starten, wollen sie diese negativen Energien nicht wieder aufsammeln. Also verlassen sie die Hütte durch die zweite Tür auf der anderen Seite und beginnen den Tag frisch und unbelastet. Seitdem überlege ich, wie wir dieses Prinzip auch zu Hause umsetzen können. Doch die Wohnung im zweiten Stock über den Balkon zu verlassen, scheint mir irgendwie nicht die perfekte Lösung zu sein. Wir hätten noch viel mehr Zeit an diesem schönen, mysteriösen Ort verbringen können, doch nach drei Stunden verlassen wir Teyuna mit einigen Eindrücken, die uns für immer erhalten bleiben werden. Wir klettern die rutschigen Stufen hinunter, überqueren den Fluss, stoppen für ein kurzes Mittagessen im Camp und laufen noch ein großes Stück weiter. Zur Belohnung können wir vor dem Abendessen wieder im Fluss schwimmen. Das Wasser ist so kalt, dass es einen nach Luft schnappen lässt. Ich lasse mich ein paar Meter treiben und versuche zu realisieren, was wir hier gerade alles erleben. Dazu mischt sich Wehmütigkeit, denn morgen wird schon der letzte Tag im Dschungel für uns sein.

Lost City Drone
Lost City Hütten
Lost City Terrassen
Tag 4 – das große Finale

Es ist schon seltsam: zu Hause kann ich keine Stunde die Finger vom Smartphone lassen, doch hier im Dschungel vermisse ich nichts. Im Gegenteil: beim Gedanken daran, in einigen Stunden wieder für alle dauernd erreichbar zu sein, möchte ich am liebsten umkehren und ein zweites Mal zur Ciudad Perdida wandern. Heute hätte es die Möglichkeit gegeben, sein Gepäck mit einem Muli vorzuschicken, aber ganz ehrlich: das wäre ja wie Schummeln! Also kämpfen wir uns samt Rücksäcken gemeinsam durch den letzten Tag der Wanderung. Wir sind nass und wahnsinnig staubig, unsere Füße haben ein paar Blasen abbekommen und die Sonne brennt ungebremst auf uns herunter. Ab und zu begegnen uns Gruppen, die gerade erst losgewandert sind und ich frage mich, ob unser Anblick wohl gerade so ermutigend ist. Tag vier ist hart, doch die Gedanken an alles, was wir gesehen und erlebt haben, tragen uns irgendwie zurück nach Machete.

Wir sind wieder da, doch ein kleiner Teil von mir ist in der Sierra Nevada de Santa Marta geblieben.